Es war eine große Utopie von UEFA-Präsident Michel Platini. Zum 60-jährigen Bestehen der Europameisterschaft sollte die Europameisterschaft 2020 in ganz Europa stattfinden.
Doch als am vergangenen Freitag in Nyon „gewählt“ wurde, kam die gewohnte Bürokraten-Mauschelei heraus, die schon „Auslosungen“ von jeder Überraschung befreit. Was eine Demonstration für Europa werden sollte, verkam zu einer kleinlichen Feilscherei. Aber das ist in Europas Politik ja nicht anders.
Für das Paket Halbfinale/Finale, also eine Vierer-Endrunde, wie sie 1960 in Frankreich, 1964 in Spanien, 1968 in Italien, 1972 in Belgien, 1976 in Jugoslawien stattgefunden hatte, ehe 1980 in Italien die Endrunde erstmals mit acht Mannschaften durchgeführt wurde, hatten sowieso nur Deutschland und England geboten. Ist das nicht jämmerlich für Europa? So viel zur Vielfalt Europas unter den kommerziellen Anforderungen der UEFA 60 Jahre nach Einführung des Pokals für Nationalmannschaften.
Deutschland zog dann zu Beginn der Sitzung zurück; somit wurde England (Wembley) per Applaudometer gewählt. Der Zeitgewinn ermöglichte dem Exekutiv-Komitee ein pünktliches Erscheinen zum Mittagessen.
Die weitere Vergabe der Ausrichterstädte im Detail zu schildern, würde eine ganze Zeitungsseite füllen; nur so viel: München erhielt natürlich ein Viertelfinale und drei Gruppenspiele, mit der Zusage, dass Deutschland zwei von denen in der bayrischen Hauptstadt austrägt falls Deutschland sich in der Witz-Qualifikation (24 Teilnehmer bei 54 Verbänden) durchsetzt. Ein bisschen Sport muss sein...
Baku (Aserbeidschan) und St. Petersburg (Russland) erhielten neben München und Rom den Zuschlag. UEFA-Großsponsor Gazprom lässt grüßen.
Für den Rest der Wahl (drei Gruppenspiele und Achtelfinale) teilte die UEFA Europa mal eben in sechs Zonen ein, damit die europaweite EM auch wirklich in allen Teilen Europas stattfindet. Israel, Weißrussland, Mazedonien und Bulgarien wurden wegen mangelhafter Wahlunterlagen mal vorab ausgeschlossen. In Wales – bei der Vergabe der Viertelfinale immerhin auf dem vorletzten Platz – findet jetzt gar nichts mehr statt. Auch im politisch neutralen Schweden nicht, und ebenso nicht in Ungarn.
Deutschland jedenfalls spielt Poker mit hohem Einsatz. Der Verzicht zugunsten Englands bedeutet Allianzen für die Vergabe der EM2024 nach Deutschland – ein Anspruch, den der DFB deutlich formuliert hat. Doch vielleicht hat der DFB die Rechnung für 2024 ohne den Wirt gemacht. Die Türkei, die noch nie eine EM hatte, hat sich um ein Paket für 2020 erst gar nicht beworben. Da kann eine Ost-Allianz dem DFB gefährlich werden. Trotz aller Nähe von DFB-Präsident Wolfgang Niersbach zu UEFA-Boss Michel Platini: Wenn der Interessen hat, sucht er seine Stimmen bei den vielen Kleinstaaten im Osten – und nicht bei den mächtigen Wirtschaftsweisen England, Spanien, Italien, Frankreich in Westeuropa. Vom Vielfraß Deutschland (Olympia!) ganz zu schweigen.
Adidas hat nicht aus Zufall das „Gold“ auf den Vier-Sterne-Trikots sehr, sehr klein gefahren. Sondern nach Marketing-Umfragen im eigenen Land.
Rainer Kalb