Schieds-Richter

Als Sepp Blatter noch als menschlicher Fußballgott auf Erden über allen Schiedsrichtern schwebte und Michel Platini als heiliger Geist an den Torrichtern webte, wäre Manuel Gräfe wie im Mittelalter geteert und gefedert worden. So aber wurde ihm von der heiligen Inquisition des Deutschen Fußball-Bundes (abgekürzt: DFB) in Zeiten des Video-Beweises zumindest Gehör geschenkt.

Zu Gräfes (An)Klagen über Vetternwirtschaft mag jeder stehen, wie er will. Sei es, er ist wegen Herabstufung eine beleidigte Leberwurst, sei es, er wirft sich heldenhaft in die Brust und posaunt wie Martin Luther « Hier stehe ich. Ich kann nicht anders » auf dem Reichstag zu Worms 1521, in die Gegend. Er hat den Finger in eine Wunde gelegt, die nicht blutet, aber schwärt.

Ein Fußballfeld ist in der Regel etwa 70 Meter breit und 110 Meter lang. Da verkommen Basketball-, Handball- oder Eishockeyfelder zu Winzigkeiten. All diese Sportarten aber leisten sich inzwischen zwei Hauptschiedsrichter. Nur im Fußball darf es nur einen geben, der die dreieinigen Allgötter Krug, Fandel und Fröhlich (!) vertritt.

Wer gesehen hat, wie lange eine Bibiana Steinhaus gebraucht hat, um am Rande ihrer Altersgrenze ein Bundesligaspiel pfeifen zu dürfen, kommt um den Verdacht nicht umhin, dass – wie Gräfe unterstellt – mit zweierlei Maß gemessen wird. Wer das Schiedsrichterwesen unter Zuchtmeister Volker Roth und seinen Vorgängern erlebt hat kommt nicht umhin, zu glauben, dass Liebedienerei belohnt wurde.

Weshalb durfte ein Wolfgang Ahlenfelder, angesäuselt an der Pfeife, weiter pfeifen ? Weshalb durfte ein Dieter Pauly zu den Klängen des Triumphmarsches aus Verdis Oper « Aida » am Bökelberg ein Abschiedsspiel pfeifen ? Welche Selbstdarstellung haben ein Pierluigi Collina oder ein Robert Wurtz, der « Nijinsky der Trillerpfeife » inszeniert ?

Gräfe hat mit seinem auf Geltungssucht bedachtem, aber auch auf Geld schielendem Verdacht vermutlich Recht. Die Heren und Herren des Schiedsrichterwesens verteilen ihr Gutdünken – und damit das Geld – nach Gutsherrenart.

Die Deutsche Fußball Liga (DFL) wird schon wissen, weshalb sie für teures Geld dem DFB die heikle Aufgabe überlässt, über das Schiedsrichterwesen zu richten. Die Profivereine wären dazu nicht in der Lage. Sie würden ja nur Ex-Profis finden, die sich längst als Experten verdungen haben. Und ob sie bessere Richter wären, sei dahingestellt.

Nein, der deutsche Fußball braucht « Amateure » wie Gräfe (rund 5000 Euro / Spiel). Er braucht Schieds-Richter. So, wie es noch im 19. Jahrhundert zuging, als die Kapitäne sich auf Freistoß oder nicht einigten, geht es im Kapitalismus des Profiwesens nicht mehr. Und, dieses ist Gräfes Verdiens ;, auch die Funktioänre müssten lernen, dass sie im 21. Jahrhundert angekommen sind. Schiedsrichter sind keine hinduistische Kaste mehr. Sie sind – ohne Hindi und ihre Religion beleidigen zu wollen – im Luther-Jahr angekommen. Ob sie es wollen oder nicht.

 

Rainer Kalb

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