Abseits

Der FC Bayern befindet sich im Abseits, irgendwo in Marokko, spielt gegen Mannschaften, deren Namen nicht einmal die Spieler kennen. Um Herbstmeister zu sein, braucht der Rekordmeister an der Bundesliga gar nicht mehr teilzunehmen. Abseits und jenseits zu sein, reicht.

Dort, jenseits in Afrika, wo die FIFA wieder mit einem Wettbewerb, der niemanden interessiert, Geld scheffelt, dort wird, damit sich überhaupt noch jemand für dieses angebliche „Event“ interessiert, zum x-ten Mal die Torlinien-Technologie getestet. Typisch FIFA: Der Öffentlichkeit wird mal wieder Sand in die Augen gestreut. Wie in Sachen Katar und anderen Dingen.

Mal ehrlich: Wie oft diskutieren wir uns unter Freunden über „Tor oder Nicht-Tor“ die Köpfe heiß? Wie oft aber über Abseits oder nicht?

Die Einführung der Torlinien-Technologie ist nichts Ganzes, nichts Halbes, nicht einmal ein Schrittchen der Vernunft, geschweige denn des Mutes. Sie ist das Feigenblatt der erzkonservativen Regelhüter gegenüber dem 21. Jahrhundert, das zähneknirschende Zugeständnis an Technik-Freaks, ein Hintertürchen für Schiedsrichter, deren menschliches Auge – und das ist kein Vorwurf – nicht mehr ausreicht.

Warum macht die FIFA den Schiedsrichtern nicht hoch die Tür und das Tor weit, um angesichts der Jahreszeit ein Adventslied in Erinnerung zu rufen? Die meisten strittigen und falschen Entscheidungen fallen beim Abseits. Da kann und darf es keinen Vorwurf an das Auge des Menschen Schiedsrichter geben, wenn es um Millimeter und Millisekunden geht. Da darf es aber sehr wohl Vorwürfe geben, wenn in Gelsenkirchen vier Schalker im Abseits stehen und in Hannover ein Gastgeber meterweit, der dann Nürnberg zumindest moralisch weiter in den Abstiegsstrudel zieht.

Videobeweis bei Toren – das ist Kokolores. Spiele werden heute nicht durch Tore, sondern durch Abseitsentscheidungen entschieden (und durch Handelfmeter, aber das ist ein anderes Thema). Wenn die Bayern schon abseits von Europa spielen, sollte die Abseits-Technologie geprüft werden – nicht der Videobeweis wegen einer Kreidelinie.

In Brasilien führt die FIFA zwei Trinkpausen pro Spiel ein (die Sponsoren und TV-Anstalten werden es danken; wie viele Trinkpausen werden es in Katar?). Da ist es nicht zu viel verlangt, jedem Team zwei Mal pro Spiel ein Veto-Recht und die Hinzuziehung des Abseits-Fernsehbeweises zu gestatten, wenn ein laut Torlinienbeweis eindeutiger Treffer gefallen ist. Bei all den Linien, die heute im Fernsehen gezogen werden, dürfte das kein Problem sein.

Und wenn der protestierende Verein irrt, zahlt er eine Geldstrafe. Das schiebt systematischem Protest und Missbrauch einen Riegel vor. Und wenn der Schiedsrichter irrt, dann wird menschliche Sehschwäche korrigiert – aber nie mehr Tomaten auf die Auen gemalt.

 

Rainer Kalb

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