Der Trainer Jens Keller ist nicht zu beneiden. Gewinnt der FC Schalke 04, dann trotz des ehemaligen Nachwuchstrainers. Verliert der FC Schalke 04, dann wegen des ehemaligen Nachwuchstrainers.
Keller hat die „Königsblauen“, wie sie sich in Anlehnung an die einstig teure Farbe der Gewänder der französischen Könige selber gerne nennen, zwei Mal in Folge in die Königsklasse des europäischen Fußballs geführt. Aber das dankt dem 43-Jährigen niemand, im Gegenteil: Manager Horst Heldt verlangt lautstark, Schalke müsse bereit stehen, wenn die Bayern straucheln sollten. Heldt verlangt also nichts anderes als die Meisterschaft.
Champions League ist Heldt nicht mehr genug. Indem die Ansprüche unerträglich hoch geschraubt werden, lässt es sich bequem aus der Verantwortung stehlen und einen Trainer-Abschuss vorbereiten.
Jens Keller steht wieder einmal am Scheidewege. Er ist lediglich nicht entlassen worden, weil er – oder doch nur seine Mannschaft? - mit 36 von 51 möglichen Punkten eine rasante Rückrunde hinlegte. Da ist ein Pokal-Aus in Dresden und eine unnötige Niederlage in Hannover Wasser auf die Mühlen seiner Kritiker, denen durch die Erfolge das Maul gestopft war.
Die spannende Frage vor dem Heimspiel gegen die Bayern ist, ob Keller um des lieben Friedens willen auf den Machtkampf mit Kevin Prince Boateng verzichtet oder nicht, ob er Autorität zeigt oder sich wieder wegduckt. Das hat er zu oft vor seinen Profis getan. Der „Prinz“, der sich selber eher als Kaiser sieht, hatte in der Vorbereitung den Anspruch gestellt, statt im defensiven Mittelfeld malochen zu müssen, den offensiven Spielgestalter geben zu dürfen.
Wer ihn in Hannover werkeln sah, weiß warum. Boateng verschuldete den Ausgleich, war taktisch nicht auf der Höhe und sichtlich nicht fit. Da ließe es sich als „Ideengeber“ und Maulheld natürlich besser ausruhen.
Wobei: Die ganze Mannschaft scheint nicht fit zu sein, und das kann nicht auf die WM geschoben werden. Allzu viele Nationalspieler hat Schalke schließlich nicht gehabt. In diesem Bereich trägt auch Keller eine Verantwortung. Eine A-Elf ist keine U-17.
Bleibt die Frage, weshalb die Spieler nach einer Führung ihre Arbeit einstellen und glauben, ihr Tagwerk sei getan. Für den Trainer durch’s Feuer gehen sie nicht. Eher legen sie sich auf die faule Haut und warten auf eine neue persönliche Chnce unter Tuchel.
Den Keller wollen einige im Keller sehen, und Tuchel ist auf eigenen Wunsch hin arbeitslos. Bei Wettbüros wird Keller schon nur noch mit 1:8 gehandelt, acht Euro für einen, falls er als erster Profitrainer der Saison gefeuert wird. Die Luft wird jetzt schon dick für Jens Keller, die Quote dünn.
Am Samstag werden sie auf Schalke wieder das „Steigerlied“ anstimmen, das mit dem alten Bergmannsgruß „Glück auf“ beginnt. Der Gruß bedeutet je nach.Lesart, dass sich hinter einer „tauben“ Felswand eine trächige Kohlemine auftun werde. Oder dass der Bergmann aus dem Bauch der Erde wieder gesund ans Tageslicht zurückkehren möge. Beides ist Jens Keller zu gönnen.
Rainer Kalb