Wer ermessen will, wie sehr Sepp Blatter das Ansehen der FIFA weltweit herabgewirtschaftet hat, braucht sich nur folgende Nachricht laut vorlesen und dann auf der Zunge zergehen lassen: Kiran Iljumschinow „erwägt“, am 26. Februar kommenden Jahres für das Amt des FIFA-Präsidenten zu kandidieren.
Der Russe ist Präsident des Schach-Weltverbandes FIDE und hält eine Bewerbung für einen klugen Schachzug. Er verspricht sich jedenfalls von der Kandidatur mediale Aufmerksamkeit für den darbenden Schachsport.
So weit ist es schon gekommen. Ein Schachbonze darf den Fußball veralbern, lächerlich machen, für seine Zwecke: verschachern. Das Ganze ist so grotesk, als wolle der Vorsitzende der Schachabteilung des FC Bayern – gibt es die überhaupt noch? – Präsident des FC Bayern werden. Das könnte sich noch unter „Komödienstadl“ abbuchen lassen, aber weltweit gesehen ist es nur noch entsetzlich, wohin Sepp Blatter den Fußball hat sinken lassen.
Formaljuristisch erfüllt Iljumschinow sogar die Voraussetzungen für eine Kandidatur. Er war im Fußball tätig, indem er Uralan Elista gründete und Präsident war; der Verein ging allerdings bankrott. Und die fünf Verbands-Stimmen, die jemand braucht, um kandidieren zu dürfen, wird ein millionenschwerer Russe auch noch zusammenbringen.
Natürlich rechnet der gute Kiran nicht damit, gegen Michel Platini oder so bestehen zu können. Ihm geht es selbstverständlich nur um die olympische Devise „Dabei sein ist alles“.
Damit steuert er einen direkten Konfrontationskurs zum Amtsinhaber Sepp Blatter, dessen Devise seit Monaten lautet: „Nicht dabei sein ist alles“. Soll die US-Justiz doch die Mespoke von Funktionären, die er als Generalsekretär und dann Präsident seit Ewigkeiten an seiner Brust genährt hat, verfolgen. Er, der Sonnenkönig, in dessen Reich die Sonne nie untergeht, der mehr Divisionen aufbieten kann als der Papst (Blatter sprach von FIFA-Mitgliedern im Vergleich zu Katholiken weltweit), hat sich nie korrumpieren lassen. Mag sein. Sein offizielles Gehalt, welches Korruption überflüssig macht, hat er allerdings auch nie offen gelegt.
Jetzt aber schwebt doch noch ein Damokles-Schwert über dem Machtgierigen, der aus Gier nach Macht und aus Angst vor Verantwortung die Schweiz nicht mehr verlässt, außer, er wird von Putin eingeladen. Nicht Korruption könnte sein Haupt auf die Guillotine der US-Justiz legen, sondern ein Unterschriftenkürzel, mit dem er die TV-Rechte an der WM 2010 und 2014 im September 2005 für nur 600.000 Dollar weit unter Wert an den Fußballverband der Karibik veräußerte. Dessen Präsident war der damalige Vize-FIFA-Präsident Jack Warner (Trinidad und Tobago). Der hat die Rechte für eine zweistellige Millionensumme an die einzelnen TV-Anstalten in der Karibik vertitscht.
Blatter sieht sich jetzt dem Verdacht ausgesetzt, durch sein Kürzel auf den Papieren Geschäfte zum Nachteil der weltweiten „Fußballfamilie“ autorisiert zu haben – was zumindest in den USA strafbar wäre, wenn Geld über US-Konten geflossen ist..
Wohl auch deshalb hat sich die FIFA-Presseabteilung beeilt, eine politische Nachricht zu verbreiten. Normalerweise geht es bei den Nachrichten aus dem Propagandaministerium um die Coca-Cola-Weltrangliste, um Akkreditierungsfristen für eine U17-WM, um die Suspendierung eines Bananenstaates wegen unerlaubter Einmischung der Politik. Jetzt plötzlich heißt es aus Zürich, wo Stellungnahmen zu Russland und Katar inhaltsleer bleiben oder Verantwortung abschieben, die Karibik habe einen Gewinnabführungsvertrag nicht erfüllt.
Donnerwetter! Kiran Iljumschinow mag Schach-Weltpräsident sein, aber im Rasenschach sind US-Ministerin Lynch (ist der Name Programm?) und Sepp Blatter ihm haushoch überlegen. Wobei das „Schach“ für Blatter, der noch vor einigen Wochen mit dem Rücktritt vom Rücktritt drohte, immer näher rückt. Und damit das „Matt“ auch.
Rainer Kalb