Marco Reus ist ja kein Einzelfall. Robert Enke war natürlich der tragischste. Aber auch Sebastian Deisler ist am Profifußball zerbrochen. Warum hat Breno ein Haus angezündet? Weshalb Kevin Großkreutz in einer Hotel-Lobby vor aller Augen gepinkelt, statt auf die Toilette zu gehen?
Das messerscharfe Urteil von Sky-Experte Effenberg über Reus: „Das geht gar nicht“ zeugt nicht gerade von Erinnerungsvermögen. Natürlich geht das. Der Experte müsste noch wissen, dass er höchstselbst sich in seinen jungen Profijahren mal den Mercedes von Brian Laudrup „ausgeliehen“ und ein Auto des als Trainer bei Bayern weilenden Jupp Heynckes in Mönchengladbach in eine Müllhalde gesetzt hat.
Die grundsätzliche Frage, die sich alle Verantwortlichen – also Vereinsmanager und Spielerberater - stellen müssen, ist doch die: Wie kann ich junge Menschen lehren, dass es in dem rechtsfreien Raum auf 70x120 Metern x 90 Minuten ein Grundsatz ist, Regeln zu brechen („taktisches Foul“), im normalen Leben aber Gesetze herrschen? Wie ihnen beibringen, dass ich einerseits zu einer gelb-roten Karte noch ermuntert werde, mich im normalen Leben aber an Gesetze zu halten habe? („Mach et, Otze!“. Der spätere Trainerausbilder (!) Ernst Rutemöller 1991 im Pokal-Halbfinale Köln – Duisburg zu seinem Spieler Frank Ordenewitz, weil der Platzverweis in einem Ligaspiel abgesessen hätte werden können, er nach zwei gelben Karten aber für das Finale gesperrt gewesen wäre –was der DFB dann nachträglich noch tat).
An dieser Nahtstelle versagen alle Berater und alle Vereinsmanager. Sie sehen nur die Millionen, nicht die Moral. Die Trainingszentren der DFL mögen kommende Profis technisch, taktisch und physisch schulen- ob auch ethisch, muss hinterfragt werden.
Aber wenn ethisches Versagen schon am reifen Baum geschieht (Blatter, Hoeneß, Rummenigge und viele, viele andere) – was soll dann am jungen geschehen?
Zurück zum jüngsten Fall. Dass Reus die Verurteilung zur Zahlung von 90 Tagessätzen à 6000 Euro geschätztes Nettoeinkommen klaglos akzeptiert hat, dürfte zwei Gründe haben. Ab einer Verurteilung zu 91 Tagessätzen wäre er vorbestraft. Und 6000 netto am Tag – also 2,16 Millionen / Jahr, was auf vier Millionen brutto schließen lässt einschließlich aller Werbeeinkünfte – scheint demnach eine gnädige Schätzung gewesen zu sein.
Nebenbei bleibt ein Kopfschütteln über das deutsche Strafrecht. Reus wurde ja nicht grundsätzlich dafür verurteilt, dass er jahrelang ohne oder mit gefälschtem Führerschein gefahren ist, sondern nur in den Fällen, für die ihm das konkret nachgewiesen werden konnte, also, als er geblitzt worden war und als er in die für ihn fatale zufällige Verkehrskontrolle geraten war. Wobei das Blitzen nie relevant wurde, weil das Bußgeld ordentlich bezahlt wurde und erst jetzt im Nachhinein als „Beweis“ verwertet wurde. Da wird Fahren ohne Führerschein natürlich zu einer sicheren Bank im Vergleich zum Lottospiel.
Weihnachten gilt auch als Fest der Besinnung. Mögen sich Vereinsmanager, Sportdirektoren und Berater darauf besinnen, dass sie über Gewinn- und Leistungsmaximierung hinaus noch eine andere Verantwortung tragen. Sie müssen auch die Schule ersetzen. Und die Spieler sollten sich darüber im Klaren sein, dass sie trotz ihrer Privilegien Menschen sind, für welche die Gesetze ebenso gelten wie für jene, die nicht im goldenen Käfig, sondern im Alltag leben.
Noch einmal: Regeln im Fußball zu brechen, gehört zum Spiel. Gesetze zu ignorieren, ist kein Spiel. Manche zerbrechen an dem Widerspruch. Das sind die tragischen Fälle. Manche sehen ihn nicht. Das sind die traurigen Fälle.
Rainer Kalb